Großvenediger Nordgrat 23-06-23 - 25-06-23

Am Freitag, den 23. Juni trafen sich Raimund, Chri, Ulli, Simone, mein Bruder Dirk und ich um 11:00 Uhr in Ulm. Das gemeinsame Ziel war klar: Den Großvenediger über den Nordgrat zu besteigen. Von Ulm ging es bei heiterem Wetter mit dem VW Bus ins Obersulzbachtal. Das anfänglich gute Wetter verschlechterte sich beim Aufstieg, sodass wir mit Nieselregen auf der Kürsinger Hütte (2.558 m) ankamen. Schnell bezogen wir unsere Quartiere und freuten uns auf das Abendessen.

Laut Wettervorhersage sollte der Regen am Abend abklingen. Als es nach dem Abendessen immer noch regnete und sich die Wetterprognose für den nächsten Tag weiter verschlechterte, entschieden wir uns, als Eingehtour für den Keeskogel (3.291 m). Auf dem Weg zum Gipfel mussten wir bei minimaler Sicht im Neuschnee frisch spuren. Am Gipfel angekommen stellte sich leider kein besseres Wetter ein. Selbst nach einer ausgiebigen Gipfelpause blieb die Sonne im Nebel versteckt und so traten wir den Abstieg zur Hütte an.

Am Abend verzogen sich endlich die Wolken und gaben zum ersten Mal den Blick auf die Venedigergruppe frei. In Vorfreude auf den nächsten Morgen gingen wir nach einem reichhaltigen Abendessen zeitig ins Bett. Um drei Uhr klingelte der Wecker. Ein schneller Blick aus dem Fenster bestätigte den Wetterbericht mit einem sternenklaren Himmel. Um Punkt vier Uhr machten wir uns noch in Dunkelheit als zweite Gruppe auf den langsam ansteigenden Weg Richtung Gletscher. Nach gut einer Stunde erreichten wir den Anseilpunkt. Von dort an ging es als Sechser-Seilschaft auf festem Firn in Richtung Grat-Einstieg weiter. Circa 1,5 Stunden später erreichten wir den Grat auf 3.295 m. Vor uns baute sich der mächtige Kamm des Nordgrats in der aufgehenden Sonne auf. Anmutig versuchten wir die Distanz und Dauer für dieses Unterfangen einzuschätzen - unmöglich. Laut Tourenbeschreibung lagen 4,5 Stunden und 500 Höhenmeter Blockkletterei zwischen dem I. und III. Schwierigkeitsgrat mit einer Schlüsselstelle im vierten Schwierigkeitsgrat vor uns. Auf dem Grat angekommen, wechselten wir von einer Sechser-Seilschaft in drei Zweier-Seilschaften. Der Grat war sehr ausgesetzt und begann nach wenigen Metern mit der ersten Abseilstelle. Etwas ehrfürchtig seilten wir uns das erste Stück in die Felswand ab. Nach leichterer Kletterei mit grandioser Felsqualität ging es zur Keidel-Scharte. Von dort kletterten wir über eine steile Firnflanke in kombiniertem Gelände weiter nach oben. Hier kamen zum ersten Mal die Frontalzacken der Steigeisen zum Einsatz. Über ausgesetzte Blockkletterei setzten wir unseren Weg fort.

Von hier oben konnten wir in der Ferne die unzähligen Karawanen an Seilschaften sehen, die sich langsam auf dem Normalweg über den Gletscher Richtung Gipfel zogen. An der Meynow-Scharte angekommen machten wir die erste kurze Pause. Vor uns lag ein steiler Abschnitt mit ausgesetzten Kletterstellen im zweiten und dritten Schwierigkeitsgrat. Am kurzen Seil und hochkonzentriert ging es stetig weiter nach oben. Wir kamen der Schlüsselstelle mit dem Namen „böse Platte“ immer näher. Die Gruppe vor uns versuchte diese mit Steigeisen zu passieren – was sehr zeitintensiv war. Wir verzichteten auf die Steigeisen und kamen so zügiger im schneefreien Gelände voran. Chri kommentierte die Schlüsselstelle nur mit den Worten: „Da schnurr ma drüber“. Gesagt getan passierten wir diese Stelle vergleichsweise reibungslos und sahen jetzt das Gipfelkreuz zum ersten Mal ganz deutlich vor uns. Das Ziel vor Augen, mobilisierten wir unsere letzten Kräfte. Die letzten 50 Höhenmeter verliefen wie im Rausch. Wie ein Uhrwerk spulten wir die letzten Meter zum Gipfel ab. Jeder Tritt und Griff saß. Mit einem überwältigenden Gefühl erreichten wir um exakt 12:00 Uhr den Gipfel auf 3.657 m. Vom Gipfel hatten wir eine grandiose Aussicht auf die umliegenden Berge. Nach ausgiebiger Gipfelpause ging es über den vergleichsweise einfachen Normalweg auf den Gletscher wieder Richtung Hütte. Nach kurzer Stärkung machten wir uns auf den Weg in Tal.

Ein großes Dankeschön an Raimund und Chri, die uns mit ihrer Erfahrung, ihrem Wissen und Können sicher auf den Gipfel und wieder zurückgebracht haben. Ein Dank gilt auch Ulli und Simone für die motivierenden Worte unterwegs und die tollen Gespräche. Es war ein Wochenende, an das ich mich noch lange mit einem Lächeln zurück erinnern werde.

Bericht: Felix Raubach

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