Rochefortgrat

R O C H E F O R T G R A T    -    A I G U I L L E   D E   R O C H E F O R T    (4 0 0 1 m)

1 4 . 0 7 . 2 0 2 3   –   1 6 . 0 7 . 2 0 2 3   

Früh morgens – je nach Ansicht vielleicht auch eher nachts – geht es los: Abfahrt 3 Uhr am Donaubad in Neu-Ulm.

Mit im Gepäck: Eine komplette Gletscherausrüstung, ein gesundes Maß an Nervosität, etwas Müdigkeit und mächtig viel Vorfreude.

Von Neu-Ulm aus sind wir zu Dritt: Norman Aichinger, Isabell Prause und Melanie Dittrich. In Zürich gabeln wir unseren vierten und letzten Mitstreiter auf: Christoph Rauch.

Die Wetterprognosen sind gut, die Verhältnisse ideal. Die 3 Stunden Fahrt nach Zürich verlaufen ereignislos. Ein kleines LKW-Chaos an der Grenze umfahren wir gekonnt und die ersten Kilometer ohne Vignette scheinen auch niemanden zu stören. Am Park & Ride Parkplatz in Aarau steigt Christoph zu. Gemeinsam geht’s weiter Richtung Courmayeur. Den ersten Nervenkitzel erleben wir bereits auf der Autobahn als uns Normans Auto mit roter Warnleuchte einen Motorschaden meldet. Nach einer dreiviertel Stunde Handbuch wälzen auf dem Autobahnparkplatz, brechen wir gedanklich unsere Tour bereits ab und steuern die nächste Kfz-Werkstatt an, als sich die Motor-Meldung plötzlich verflüchtigt. Mit etwas unsicherem Gefühl fahren wir weiter – stets mit schielendem Auge aufs Fahrercockpit. Noch ein-/zweimal treibt uns die Motor-Meldung den Puls in die Höhe. Nachdem wir die Warnung aber geflissentlich ignorieren, hat Normans Karre irgendwann keine Lust mehr und bringt uns ohne weitere Warnsignale sicher ans Ziel: einem kostenfreien Wanderparkplatz in La Palud bei Courmayeur. Wieder ignorieren wir gekonnt die nächsten Warnhinweise, die mit Abschleppsymbolen darauf hindeuten, dass dies kein Mehrtagesparkplatz ist. Wir lassen uns nicht beirren und beginnen um 12:45 Uhr mit dem Aufstieg auf die Turiner Hütte. Knapp 2.000 hm haben wir vor uns. Christoph nimmt infolge einer Knieverletzung die Gondel Skyway Monte Bianco, die ihn vom Tal in nur wenigen Minuten hinauf zur Bergstation Punta Helbronner und somit direkt auf die Turiner Hütte befördert.

Norman, Isabell und ich benötigen für den Fußmarsch etwas länger. Gefühlt geht es senkrecht bergauf. Der dicht bewucherte Weg deutet darauf hin, dass hier sehr selten jemand zu Fuß hinauf geht. Die letzten 600 hm müssen wir über felsiges Gelände hinauf kraxeln und werden dabei mehrmals von der Gondel überholt (die mir mit jedem zusätzlichen Höhenmeter immer attraktiver erscheint).

Nach ca. 4 h sind auch wir endlich am Ziel angekommen: dem Rifugio Torino, einer auf 3.375m gelegenen Schutzhütte - oberhalb des Col del Gigante und direkt unterhalb des Punta Heilbronner. Die Turiner Hütte wurde 1898 erbaut und über die Jahre immer wieder renoviert und erweitert. Die Hütte verfügt über 160 Betten und der Winterraum umfasst weitere 38 Betten welche im Sommer als Notlager verwendet werden. Von der Gaststube aus hat man einen fantastischen Blick auf die umliegenden 4000er. Gekocht wird überwiegend regionaltypisch. Anders als man es auf Hütten normalerweise kennt, findet auf der Turiner Hütte keine Bedienung statt. Die hungrigen Bergsteiger schnappen sich ein Tablett und werden der Reihe nach im Kantinen-Stil mit dem Essen ihrer Wahl versorgt. Wenn am späten Abend dann die Kuhglocke erklingt, heißt das „es ist noch was übrig – wer Nachschlag möchte, kann kommen“. Wir sind recht angetan von dieser Art der Verpflegung und auch das Essen selbst kann sich sehen lassen.

Beim Abendessen besprechen wir den Ablauf des kommenden Tages. Da sich für mittags Gewitter angekündigt haben wollen wir möglichst früh aufbrechen, um noch vor Gewitteranbruch zurück auf der Hütte zu sein.

Dementsprechend zeitig verziehen wir uns auch in unser Lager. Dieses besteht aus mehreren Stockbetten, die intelligenterweise direkt unterhalb des Schrägdachs entlang aufgereiht wurden. Wer oben schläft muss ein Schlangenmensch sein, um ohne Beulen am Kopf hoch und runter zu gelangen.

Ich nehme die Beulen im Kauf und versuche möglichst schnell in den Schlaf zu finden.

Um 3 Uhr in der Früh geht es zum Frühstück und kurz vor vier Uhr brechen wir auf. Von der Turiner Hütte aus geht es zunächst recht flach, später etwas ansteigend über den Gletscher Glacier du Géant in Richtung Col du Rochefort.

Nach kurzer Zeit erreichen wir die 40 Grad steile und ca. 80m lange Schneerinne, die morgens um diese Zeit noch gut vereist ist und sich somit unter Einsatz von Pickel und Steigeisen recht problemlos besteigen lässt.

Danach geht es in kombiniertes Gelände über, durch mehr oder weniger brüchige Schotterpassagen aufwärts - immer wieder unterbrochen durch Kletterpassagen im 1. bis 2. UIAA Grad – weiter in Richtung Dent du Géant. Norman führt uns zielstrebig und in flottem Tempo hinauf. Ich bin froh mich nur aufs Kraxeln konzentrieren zu müssen.

Um kurz vor 7 Uhr erreichen wir den sog. Frühstücksplatz, der direkt am Fuße des Dent du Géant liegt. Nach kurzer Verschnaufpause geht es direkt weiter zum Rochefortgrat, der um diese Zeit komplett einsam und unberührt vor uns liegt. Wir gehen seilfrei. Der geschwungene Firngrat, der als „Messers Schneide“ bekannt ist, erscheint uns bei näherer Betrachtung überraschend breit – ja beinahe großzügig. Einige kurze Felspassagen unterbrechen die Gratwanderung mit leichter Kletterei. Anschließend fordert die Schlüsselstelle mit einer ca. 50 Grad steilen Eisflanke höchste Konzentration. Ich bin recht dankbar für die angebrachten Fixseile, die mir an dieser Stelle doch etwas mehr Sicherheit geben als Eisgerät und Steigeisen allein.

Nach einigen Felstürmen endet der Rochefortgrat und geht in die Aiguille de Rochefort über. Ab hier ist wieder Klettern gefordert und die UIAA 3 fordern nochmal einiges an Kraft. Um 8:30 Uhr haben wir es geschafft, stehen auf 4.001m Höhe auf dem Gipfel und werden mit einem atemberaubenden Rundumblick auf das gesamte Mont-Blanc-Massiv belohnt. Nach einer kurzen Rast beginnen wir schon wieder mit dem Abstieg. Dank der eingerichteten Standplätze können wir uns zweimal abseilen und kommen dadurch recht schnell voran.

Allmählich spüren wir auch das für den Nachmittag angekündigte Gewitter. Eisige Winde ziehen auf und treiben uns zur Eile.

Nochmals überqueren wir den Rochefortgrat. Mittlerweile ist schon einiges mehr los und mehrere Seilschaften kommen uns entgegen. Wir gehen weiterhin seilfrei und erreichen gegen 11 Uhr den Fuß des Dent du Géant.

Ich bin froh, diesen nicht auch noch besteigen zu müssen, da sich die Kräfte nun doch allmählich dem Ende neigen.

Der Abstieg erfolgt auf demselben Weg wie beim Aufstieg. Der Schnee ist mittlerweile deutlich weicher geworden. Die vereisten Passagen, die wir im Aufstieg nutzen konnten, sind nun angetaut und instabil. Kurz oberhalb der Schneerinne kommt es zum Eklat, als ich durch einen dummen Fehler ins Rutschen gerate und mit recht schneller Geschwindigkeit auf die 80m tiefe Schneerinne zurase. Zum Glück kann Christoph mich aufhalten und bringt meine ungewollte Abfahrt rapide zum Stoppen (Danke Christoph!!). Nach diesem unschönen Zwischenereignis geht es die nächsten Meter mit zitternden Knien weiter. Das letzte Stück seilen wir uns ab und kommen allesamt heil und unverletzt auf dem Gletscher an.

Im Gänsemarsch geht’s zurück zur Hütte, wo wir den Nachmittag gemeinsam ausklingen lassen und die Ereignisse des Tages nochmals reflektieren.

Noch eine Nacht verbringen wir auf der Turiner Hütte und treten am nächsten Morgen in der Früh unsere Heimreise an.

Es war ein unvergessliches und wahnsinnig tolles Erlebnis! Wie immer super organisiert und professionell geführt.

Vielen Dank Norman, dass du solche Touren anbietest!

 

Text: Melanie Dittrich

Bilder: Isabell Prause, Melanie Dittrich, Christoph Rauch, Norman Aichinger

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