Sein größter Kampf

Das Wochenende beim Deutschlandpokal am Arber im bayerischen Wald lief fast perfekt für Philipp Lipowitz. Unter widrigen Bedingungen belegte der Biathlet des DAV Ulm bei den beiden Sprints die Ränge zwei und eins. Mit starken Laufzeiten und sehr guten Schießeinlagen. Nun macht er sich Hoffnungen, wenn auch die nächsten Wettkämpfe gut laufen, wieder fürs IBU-Cup-Team des Deutschen Skiverbands (DSV) für die letzten Wettbewerbe Ende Februar und Anfang März in Obertilliach nominiert zu werden.

Im IBU-Cup, dem Sprungbrett zum Weltcup, war der Junioren-Weltmeister von 2021 schon einmal vor Weihnachten, ehe ihm nach unbefriedigenden Rennen in Schweden eine Corona-Infektion die Chance nahm, sich bei der nächsten Station in Norwegen zu beweisen. Ein sportlicher Rückschlag, mit dem er diesmal gut umgehen konnte.

Das war nicht immer so. „Für mich waren die letzten zwei Jahre ein ziemlicher Kampf“, sagt Lipowitz, der sich 2021 berechtigte Hoffnungen auf den Weltcup gemacht hatte. „Ich bin auch echt stolz drauf, dass ich mich zurückgekämpft und an keinem Punkt aufgegeben habe. Aber es war sehr hart für mich.“ Bei diesem Kampf ging es nicht mehr um sportliche Höchstleistungen für den heute 24-Jährigen. Sondern um sein Leben. Er musste eine schwere Depression in den Griff bekommen. Er hat dabei auch für sich einen Weg gefunden, wie er wieder erfolgreich Leistungssport betreiben kann.

Vor gut zwei Jahren hatte der Laichinger aufgrund starker Auftritte die Chance bekommen, die Qualifikationsrennen im finnischen Muonio fürs Weltcup-Team in der Saison 2021/2022 zu bestreiten. „Das letzte halbe Jahr bis zur Quali habe ich mich nur noch auf den Sport fokussiert. Das war das Einzige, was es in meinem Leben gab“, erzählt er, wie er sich da „total reingesteigert“ und „extremen Druck“ gemacht hat. Vor den entscheidenden Rennen in Finnland bekam er Fieber. Er entschied sich trotzdem, bei Quali und erstem IBU-Cup an den Start zu gehen, „weil ich das halbe Jahr davor alles geopfert habe, um dort gut zu sein. Das ging dann halt komplett nach hinten los.“

Mit Verdacht auf Herzmuskelentzündung wurde er in Schweden ins Krankenhaus eingeliefert, dort wurde eine Herzbeutelentzündung diagnostiziert. „Ob es eine war, sei mal dahingestellt. Auf jeden Fall habe ich danach extrem starke Probleme gehabt mit dem Schlaf. Ich war dauernd unter Stress. Es hat sich angefühlt, als wäre ich kurz vor meiner Abschlussprüfung und das 24/7.“ Schlafen konnte er höchstens ein, zwei Stunden in der Nacht, „also meistens von 23 Uhr bis halb eins, maximal 1 Uhr und dann lag ich wach“. Wochenlang ging das so.

Der Schlafmangel hatte schwerwiegende Auswirkungen. „Da stimmt einiges im Gehirn nicht mehr mit den Hormonen“, erklärt der Biathlet. „Das hat bei mir dazu geführt, dass ich eine schwere Depression entwickelt habe.“ Sogar Suizidgedanken waren dabei. Seine Eltern, die ihn in dieser Zeit betreut haben, spürten, dass er alleine nicht mehr auf die Beine kommt, auch er selber konnte es nicht mehr leugnen. Der Weg führte zum Hausarzt, Lipowitz ließ sich in eine psychiatrische Klinik einweisen. Für ein halbes Jahr war er stationär dort.

Erstes Ziel war, den Schlaf wieder in Ordnung zu bringen. Ein langer Weg mit psychotherapeutischer Behandlung und medikamentöser Unterstützung folgten, um sein inneres Gleichgewicht wiederherzustellen. „Ich habe viel an mir selber gezweifelt. Es war die härteste Zeit in meinem Leben und ich bin im Nachhinein froh, dass ich das überlebt habe“, dankt er seinen Eltern, aber auch seinem Trainer bei der Bundespolizei Roland Biermeier, die mit ihm alles durchgestanden haben. Der eigentlich immer und auch heute wieder hagere Sportler wog in der Zeit fast 100 Kilogramm. Um Sport ging es schon lange nicht mehr, „es ging um mich und meine Seele“.

Nach dem Klinikaufenthalt war Lipowitz weiter in Behandlung bei einem Psychotherapeuten. Auf dem Weg zurück in ein normales Leben habe er irgendwann „die Entscheidung getroffen, ich will es mit dem Sport nochmal probieren. Weil mir viel am Sport lag und ich drauf gekommen bin, ich kann ihn machen, ohne mich selber so unter Druck zu setzen und die ganze Geschichte ein bisschen lockerer zu sehen.“

Alles umgekrempelt

Der Biathlet ist zurück zu seiner alten Trainingsgruppe in Seefeld. „Das war der Schlüssel dafür, dass es mir heute wieder richtig gut geht.“ Der 24-Jährige hat aber sein Leben völlig umgekrempelt. „Ich habe wieder viele Kontakte zu meinen Freunden aufgebaut, habe viel Wert auf meine Freizeit gelegt.“ Er spielt Golf, was ihm viel geholfen habe, „weil man da zwei, drei Stunden auf dem Platz ist und sich nur mit der weißen Kugel beschäftigt“. Auch ein Fernstudium der Elektrotechnik hat er begonnen, als zweites Standbein. Das nehme Druck und lenke ab, wenn es im Sport mal nicht so läuft. Er hat eine neue Freundin, die nicht aus dem Leistungssport ist, „mit der ich mich toll verstehe, wo ich richtig happy bin“.

Dankbar ist er, dass der Arbeitgeber Bundespolizei, aber auch Sponsoren wie Salomon, Holmenkol und Avia und der DSV weiter hinter ihm standen, auch wenn er als Bundeskader-Athlet nur ein Jahr Krankenstatus zugesprochen bekam. In seiner Comeback-Saison 2022/2023 hat er selbst noch keine guten Ergebnisse erwartet, „weil ich da im September erst wieder mit dem Training begonnen habe“. Mit seinem Trainer hat er Lösungen erarbeitet, damit er nicht wieder in dieselbe Lage rutscht. „Das funktioniert ganz gut.“ Seine Therapie hat er erfolgreich abgeschlossen, er muss auch keine Medikamente mehr nehmen. „Und mir geht es um einiges besser als davor.“

Seitdem der Sportler offen mit seiner Krankheitsgeschichte umgeht, hat er festgestellt, „dass ganz viele Menschen, gerade auch im Leistungssport, solche Probleme haben“. Sich aber nicht trauen, auch aufgrund von Stigma und Vorurteilen in der Gesellschaft, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Psychische Krankheiten, nicht nur Depressionen, auch Burnout oder Essstörungen, passen nicht zum dort erwarteten Bild des erfolgreichen Profis.

Wieder internationale Rennen?

Philipp Lipowitz hat seinen Weg aus der Krise gefunden. Er richtet sein Leben nicht mehr ausschließlich auf Biathlon aus. „Das heißt aber nicht, dass ich nicht fokussiert bin und unehrgeizig“, sagt er. Die Corona-Infektion vor Weihnachten war auf dem Weg zurück für ihn „nur“ ein sportlicher Rückschlag. Zwei Wochen war er richtig krank, konnte auch danach einige Zeit nicht voll trainieren. Er sieht sich deshalb noch nicht ganz im Vollbesitz seiner Kräfte. Trotz der herausragenden Ergebnisse zuletzt am Arber. Jetzt hofft er, dass er noch diese Saison im IBU-Cup zeigen kann, „was in mir steckt. Und wenn es nicht klappt, ist es auch nicht so schlimm.“

 

Professionelle Hilfe bei Depression
Aus medizinischer Sicht ist die Depression eine ernste Erkrankung, die das Denken, Fühlen und Handeln der Betroffenen tiefgehend beeinflusst, mit Störungen von Hirn- und anderen Körperfunktionen einhergeht und erhebliches Leiden verursacht. So beschreibt es die Stiftung Deutsche Depressionshilfe auf ihrer Homepage, zu finden unter deutsche-depressionshilfe.de.Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, können sich selten allein von ihrer gedrückten Stimmung, Antriebslosigkeit und ihren negativen Gedanken befreien. Professionelle Hilfe ist deswegen unverzichtbar, erklärt die Stiftung, die auf ihrer Internetseite auch Klinikadressen, Krisendienste und Beratungsstellen auflistet. Sie selbst bietet Infotelefon und Mailberatung an. In Notfällen, etwa bei Suizidgedanken, soll man sich an die nächste psychiatrische Klinik wenden oder den Notruf unter der Telefonnummer 112 wählen.

Auf der Homepage der Deutschen Depressionshilfe finden auch Angehörige und Freunde von depressiven Menschen Rat, wie sie mit ihnen umgehen und wie sie sie unterstützen können.

 

Südwest Presse Ulm / Werner Gallbronner

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