Was macht die Norweger so stark
Ein bisschen herrscht vor dem Weltcup in Oslo Ende Februar Finalstimmung bei den Biathleten. Die WM ist Geschichte, das Weltcup-Finale der Saison steigt in Nordamerika statt wie zuletzt am stimmungsvollen Holmenkollen. Aber aus klimatechnischen Gründen soll der ganze Tross mit Sack und Pack nicht wieder zurück nach Europa reisen müssen. Kluge Entscheidung. Der DAV Ulm schaut natürlich erst einmal nach Estland zu den Jugend- und Junioren-Weltmeisterschaften. Auch da werden die Norweger favorisiert sein, wie zum Beispiel Isak Frei bei den Junioren. Gegen den sind vor mittlerweile sechs Jahren auch einige unserer Trainer gelaufen - und schon damals hat er gewonnen. Das Liatoppen Skiskytterfestival gibt uns alle zwei Jahre einen Einblick in das, was die Norweger an Masse und Klasse zu bieten haben. Unsere Sportlerinnen und Sportler haben da bekanntlich ganz vorne mitgemischt. So gesehen dürfte es spannend werden.
Aber die Norweger sind ja nicht nur unter den Biathleten top, sondern auch in anderen Sportarten. Man denke nur an Langläufer oder Alpine, aber auch Handballer oder Leichtathleten. Deshalb lohnt es sich mal nachzufragen, was denn das Land mit seinen 5,4 Millionen Einwohnern sportlich so stark macht. Ein Baustein ist sicherlich das Schulsystem.
In Deutschland hören viele im Alter zwischen 15 und 20 Jahren mit dem Sport auf. Chillen statt schwitzen nach der Schule, die immer weniger sportfreundlich ist. Für Leistungssportler ist es die Zeit, in der sich entscheidet, ob aus dem Talent ein Spitzensportler werden. Da gehört Wille dazu und auch eine ganz große Portion Glück.
Torgeir Skrede ist im norwegischen Geilo Sportmanager am NTG, was übersetzt in etwa Spitzensportschule heißt. Das NTG-Modell gibt es seit 40 Jahren. „Die Organisation“, sagt Skrede auf die Frage, was die Norweger so erfolgreich macht. Dabei ist es am Anfang gar nicht so viel anders als in Deutschland, mal ganz davon abgesehen, dass es ungleich mehr kleine Biathleten bei den Skandinaviern gibt und sie von Kindesbeinen an mit dem Kleinkaliber-Gewehr schießen.
„In Norwegen sind die Vereine sehr stark. Sie basieren auf Freiwilligkeit und Ehrenamt“, sagt Skrede. Die Trainer bekommen kein Geld, seien aber trotzdem professionell ausgebildet. Was das angeht, können wir mithalten. Einen kleinen Unterschied gibt es auch hier: Lediglich eine „kleine Trainingsgebühr“ sei bei manchen zu zahlen, mit der das Schießen abdeckt ist: „Ansonsten ist alles kostenlos.“ Die Eltern geben die Kinder nicht einfach ab, sondern engagieren sich selbst als Trainer, Helfer, Organisatoren.
Die Vereine sind in Bezirken organisiert, die wiederum in Regionen und schließlich im Norwegischen Biathlonverband NSSF. „Der Weg vom Verein zum nationalen Verband ist kurz“, sagt Skrede. Im Verein sind die Kinder bis zum Alter von 13 Jahren, dann geht es in den Bezirk und mit 17 bis 19 Jahre für manche an die Biathlonschule. „In Norwegen herrscht eine große Offenheit zwischen den Vereinen, Bezirken und Verbänden, und die Ausbildung basiert weitgehend auf dem, was die NSSF für die Entwicklung vorgibt“, sagt Skrede. Alle profitierten von einem „großen Wissensfluss im gesamten System, da gibt es keine Geheimnisse“. Auch die Schulen untereinander tauschen sich sportartenübergreifend aus.
Bewerbe kann sich jeder
In Geilo werden alljährlich 8 bis 13 Biathleten aufgenommen. Bewerben können sich alle Jugendlichen, die aktive Biathleten sind und die Grundschule (die bis zur 10. Klasse geht) abgeschlossen haben. „Wir sind eine Privatschule, die einen Teil der Mittel vom norwegischen Staat erhält“, erklärt Skrede. Genauer gesagt werden 85 Prozent der Betriebskosten gedeckt. Den Rest zahlen die Eltern. Das sind etwa 2500 Euro Schulgeld plus knapp 7900 Euro für das Spitzensportprogramm. „Damit ist dann das Training abgedeckt, Wettkämpfe und Trainingslager im In- und Ausland“, sagt Skrede und auch viele Teile der Ausrüstung. Die Eltern übrigens sind weiterhin gefordert – als Helfer bei Wettkämpfen, beim Wachsen oder Kochen.
Aber auch an „normalen“ Sportgymnasien kann Biathlon ein Schwerpunktfach sein, vergleichbar wie der allgemeine Sport hierzulande. Bestes Beispiel sind die Bø-Brüder, die in Styrn auf die Sekundarschule gegangen. Johannes hatte bis zum Alter von 16 Jahren vor allem gekickt und wollte Fußball nehmen, die Eltern überzeugten ihn, es doch mit Biathlon zu versuchen, was der ältere Bruder Tarjei schon erfolgreich tat. Der Umstieg hat sich bekanntlich gelohnt.
Was die NTG-Schulen so besonders macht, ist eine noch weiter gehende Verzahnung von Sport und Schule. Wer aufgenommen werden will, muss in beiden Bereichen Leistung bringen. „Die Schule beobachtet die Bewerber über mehrere Jahre hinweg, und nimmt diejenigen auf, von denen wir glauben, dass sie die besten Voraussetzungen haben, um Schule und Spitzensport zu verbinden und gleichzeitig innerhalb des Sports weit zu kommen“, sagt Skrede weiter.
Schule und Sport sind eins
Was aber an den Schulen passiert, ist mit den deutschen Gegebenheiten nur bedingt zu vergleichen. Auch wenn man sich hierzulande an den Sportgymnasien und -internaten nach Kräften müht. Schule ist Schule und da gibt es keine Kompromisse. In Norwegen sind Sport und Schule in diesem Bereich eins. Mehrere Biathlon-Vollzeittrainer und Lehrer kümmern sich gemeinsam um die Sportler. „Individuell und umfassend“ sei die Betreuung, sagt Skrede, in beiden Bereichen. Lehrplan und Unterrichtsstunden sind auf die Sportarten angepasst und - man höre und staune - ändern sich im Jahresverlauf. So gibt es im Herbst zum Beispiel mehr Unterrichtstage für die Biathleten, im Winter dafür weniger. Gleiches gilt für die Arbeiten, die geschrieben werden müssen. Unterricht, so heißt es, gebe es mitunter auch mal während des Trainings. Denn Bewegung und Lernen ergänzen sich gegenseitig.
Ein entscheidender Unterschied zu Deutschland dürfte sein, dass auch die Gestaltung des eigenen Trainings zum Unterricht gehört. „Im ersten Jahr sind es vor allem die Trainer, die die Trainingsprogramme aufstellen, aber im Laufe der drei Jahre an der NTG wird den Athleten immer mehr Verantwortung für die Planung ihres eigenen Trainings übertragen“, erklärt Skrede. Verantwortung zu übernehmen für sich, den Leistungsaufbau, den eigenen Körper und ein Gefühl bekommen, was man braucht und was einem nicht guttut: „Das geschieht mit Hilfe der Trainer, aber es ist wichtig, dass man die Sportler nicht bevormundet und ihnen auch Freiräume gibt. Sonst kommt die mentale Basis aus dem Gleichgewicht und behindert auch den sportlichen Erfolg.“
Top Bedingungen
Und dann sind da natürlich noch die Trainingsbedingungen. Die Ausstattung ist top, Laufbänder, auf denen man auch mit Skirollern unterwegs sein kann, speziell ausgerichtete Krafträume, Physiotherapie, medizinische Betreuung. Die Natur vor der Nase: Bergläufe im Sommer, Langlaufstrecken von November bis Mai und wenn mal kein Schnee da ist, was auch im Norden immer häufiger vorkommt, geht es auf Skirollern raus. "Wir vermeiden lange Wege. Das ist nur unnötiger Stress", sagt Skrede.
Der Abschluss an einem NTG garantiert natürlich keinen Platz in den Nationalmannschaften. Der Konkurrenzkampf ist hart. Behördenstellen oder ähnliches gibt es nicht, dafür Privatteams. Für einen jungen Sportler kann es auch einen Weg außerhalb der Kader geben, aber er ist hart. „Viele machen nach der Schule mit Biathlon weiter. Einige haben das Glück, in die Nationalmannschaft aufgenommen zu werden, während andere sich auf private Teams konzentrieren“, sagt Skrede. Und dann vielleicht doch noch den Sprung in die Elite schaffen. Doch die Konkurrenz ist groß. Wahnsinnig groß.